Montag, 10. Februar 2014

Apfelbaum


Meine Fresse...
Wo komme ich bloss hin.
An gewissen Tagen bin ich ein emotionales Wrack.
Durch die Geburt von meinen Söhnen werde ich mit Sachen konfrontiert, von denen ich nie im Leben gedacht habe, dass sie mich einmal „bodigen“ und mir fehlen!!!

Als wir letztes Jahr den Weihnachtsbaum aufgestellt haben, sagte ich zu meinem Partner: „Nächstes Jahr brauchen wir ihn nicht mehr auf das Laufgitter zu stellen. Ich glaube, das räume ich im neuen Jahr weg. Das brauchen wir nicht mehr.“

Salopp gesagt.

Da stehe ich also letzte Woche im Wohnzimmer und hole in einem Anfall von Putzwut den Schraubenzieher. Hatte kurz zuvor schon die ganze Küche ausgeräumt und war top motiviert.
Ordnung muss her.
Ich brauche Platz!

Wir reden hier von einem uralten Laufgitter. Visa Gloria. Naja wenn ich ehrlich bin, so uralt auch nicht. Nur meine Mutter war schon da drinnen..und natürlich wir...und jetzt meine Buben...und mein Patenkind...

Mein Vater hat es nach meiner Geburt mit einem warmen kuscheligen Teppichboden ergänzt und kippsicher gemacht. Es hat einen festen Boden und ist einfach ein tolles Teil. Hat halt eine Geschichte.
Um es auseinander zu nehmen musste ich vier Schrauben lösen.

Nach den ersten drei musste ich eine Pause machen. Ich sass also da mit einem Kaffee und beobachtete das Teil.
Mein Hals schnürte sich zu und mir wurde ganz anders...
Als ich dann die vierte Schraube gelöst hatte und unter den handgemachten Metallteilen noch die Hinweise zum Montieren von meinem Vater sah, kollabierte ich. Ich überlegte kurz ob es echt auffallen würde, wenn ich es einfach für die nächsten 18 Jahre so dort stehen liesse. Eigentlich brauche ich ja diesen Platz gar nicht zwingend. Eigentlich stört es ja gar nicht. Eventuell brauchen wir es auch diese Weihnachten noch? Vielleicht kommen ja auch mal kleine Kinder zu Besuch und ich bin dankbar für dieses Laufgitter....

Der Gedanke daran, dieses Laufgitter niemals mehr aufstellen zu können hat mir die Tränen in die Augen getrieben!
Ich sass da, weinte um ein altes Holzteil und wusste zu jedem Zeitpunkt, dass ich völlig meschugge bin.


Vor gut sieben Jahren haben wir unser Haus gekauft.
Lange haben wir nach einem Geeigneten gesucht.
Wir haben zig Objekte angeschaut bis uns klar war, dass wir in das Dorf zurück wollten in dem wir beide aufgewachsen sind.
Für uns stand, als dieser Entschluss feststand, bauen nicht zur Diskussion. Unsere Traumplätze sind entweder privat oder (noch) nicht eingezont. (Ich bin auf der Lauer...)


Als ich unser zukünftiges Haus zum ersten Mal gesehen habe, war ich noch nie zuvor an dieser Strasse.
Das wiederum ist ein „weneli“ speziell. Reden wir doch von einem kleinen Dorf.
Eigentlich dachte ich, ich kenne alles hier!
Das war nicht so..

Das Haus liegt an einer privaten Sackgasse und schaut noch aus wie ein Haus.
Mein Puls hat sich schon nur beim Betrachten der Strasse verändert. Ich sah meine noch ungeborenen Wunschkinder fahrradfahren und spielen.
Es hat ein grosses Grundstück, wovon man wenn man nicht die Trittsicherheit einer Geiss hat nicht wirklich viel benützen kann. Das kommt daher weil unser Haus das letzte war, wo der Aushub von Hand gemacht wurde. Hatte glaube ich schon damals niemand gross Bock einen halben Berg von Hand wegzupickeln.
Direkte Nachbarn hat es hier, aber jeder hat genug Platz und sie sind sehr freundlich .
Ein bisschen heile Welt, hier bei uns hinten..






Als wir also dieses Haus zum ersten Mal sahen, war es Frühling. 25. April 2007. Ein wunderschöner Tag.
Rechts vom Haus steht ein grosser Apfelbaum.
Heute kenne ich die ganze Geschichte von meiner Strasse. Auch von diesem Baum.

Dieser Baum ist älter als unser Haus. Er wird auf sicher hundert Jahre geschätzt. An diesem sagenhaften und für uns so wichtigen Frühlingstag war dieser Baum in voller Blüte. Ein weisser Traum mit einem leichten rosa Akzent.
Da der Baum bestimmt 6 Jahre nicht mehr geschnitten wurde, war er zu diesem Zeitpunkt riesig. Es schien als stehe eine halbe Kugel Blüten auf der Wiese.
Ein Traum.
Ich bin eine Frau. Ich sah die Lage von diesem Haus, dieses Blütenmeer von einem Baum und wollte dieses Haus!
Basta.
Wird schon passen. Drinnen. Dachte ich mir.

Es hat auch gepasst, das Haus. Noch heute passt es.
Das mit dem Baum hat weniger gepasst.
Wie ich anhand vom Laufgitter wohl aufzeigen konnte, liebe ich alte Sachen.
Ich gebe da nicht so rasch auf.
Dass der Baum nicht gesund war, sahen wir schon im ersten Winter.
Wir liessen in extrem stutzen.
Viele Äste waren abgeknickt und kaputt.
Nie mehr hatte er so schöne Blüten wie an diesem Tag.
Aber saumässig viele Blätter hatte er noch immer.
Im Herbst. Am Boden.
Und Äpfel.
Sehr viele Äpfel.
Was sicherlich sinnvoll ist an einem Apfelbaum.
Wenn man dann Äpfel mag.
Ich mag sie nicht! 

Aber, und das muss ich fairheitshalber sagen, der Baum hatte auch sein Gutes. Ich hatte eine Schaukel daran. Dort mit meinen Söhnen zu „hängen“ war traumhaft.

Leider wurde das immer gefährlicher. Wir mussten davon ausgehen, dass er hohl und stark einsturzgefährdet ist.
Darum musste er weg. An einem Samstag im Januar war es dann soweit. Die bestellen Männer starteten mit Vorfreude die Motorsägen.
Als er dann so dastand. Der Baum. Ohne Äste und jedem Baum im Bäregrabe in Bern Konkurrenz machte, fragte ich meinem Partner: „Wa meinsch, mache mer s‘Rechtige?!“ Er schaut mich kurz entgeistert an und meint dann trocken: „Ich beförchte för söttigi Öberlegige esch es z spot...!“
Als ich dann sah, wie kaputt und hohl der Baum war, machte sich in mir eine grosse Erleichterung breit. Ich darf ab sofort die 5 Äpfe,l welche ich pro Woche brauche bei der Bauersfrau im Dorf frisch kaufen. Muss kein Laub mehr auflesen und verdammt auch kein Äpfel aufkratzen von der Strasse wenn „Fremde“ mit dem Auto darüber gefahren sind. YES!





Gebodigt hat mich dann nur das Seil von der Schaukel. Als es so dalag. Auf der Wiese. Erneut schossen mir die Tränen in die Augen und ich sah, wie mein Vater mir half, die Schaukel zu montieren. Für meinen Sohn. Damit es auch hält...

...verdammt hört das denn nie auf?

Liebe Grüsse,
Eveline


Ajo...der Baum lebt weiter. Mein Nachbar schnitzt irgendetwas aus ihm ;o)